Schule der Zeitlosigkeit (Ecole de l'intemporalité)
(seite 506-509)
Das Museum in Arles und die „ neomodernistische “
Raumauffassung in Frankreich
(Le musée d'Arles et le concept d'espace neo-moderne en France)
(Le musée d'Arles et le concept d'espace neo-moderne en France)
Der Mann, der die Planung des supermodernen, zweiten
Stadtzentrums von Lille organisiert hat, Jean-Paul Baïetto, prägte einen
koketten Begriff für eine typisch französische Fähigkeit: ,
„Dynamique d'Enfer“ – höllische Dynamik
also – müsse man entfesseln können, um angesichts der weltweiten
Städtekonkurrenz Kräfte und Kapital für groß und aufwendige Bauvorhaben flüssig
zu machen. Die Retortencity „Euralille“ als hochverdichteter Verkehrsknoten
innerhalb von wenigen Jahren gebaut, konnte so in Europa nur in Frankreich
realisiert werden.
Einem solchen
globalen Wettrennen um neue Programme und neue Formen kann der Architekt Henri
Ciriani nichts abgewinnen. Er fürchte nichts so sehr, äußerte er sich jüngst in
Casabella, wie die Wechselwirkung von Globalisierung und Einförmigkeit im
Bauen. Von „Dynamique d'Enfer“ konnte auch keine Rede sein bei der Realisierung
seines bisher wichtigsten Gebäudes, des Museums für Archäologie im
südfranzösischen Arles. Eine geradezu „biblische“ Planungsund Realisierungszeit
– zurückzuführen auf Finanzierungs- und Organisationsprobleme – mußte der von
Henri Ciriani entworfene Bau durchmachen.
Als die Bauwelt
das Gebäude Ende 1993 (Heft 43) kurz vorstellte, waren fast zehn Jahre seit dem
Wettbewerbserfolg vergangen. Das Museum stand damals vor der Fertigstellung,
die großen archäologischen Exponate, die integraler Bestandteil der Museumsarchitektur
sind, waren aber noch nicht installiert. Es sollte noch einmal anderthalb Jahre
dauern, bis der Bau schließlich eingeweiht werden konnte.
Die nach einer
zwölfjährigen Odyssee schließlich zum Abschluß gekommene Entstehungsgeschichte
des Museums liest sich im Rückblick wie eine Bestätigung für die bekannte
Hartnäckigkeit seines Architekten. Vor knapp dreißig Jahren hatte dieser in
Paris eine Bewegung mitgegründet, die an das Formenvokabular der frühen
Moderne, insbesondere an Le Corbusier anknüpfte. Ciriani hat diese Ideen
seither zu einem genau kalkulierten, akakemischen Gestaltungssystem
weiterentwichelt, das den swischenzeitlichen Stilwechseln der französischen
Architektur ungeeinflußt getrotzt hat. Er – und mit ihm eine Reihe von jüngeren
Architekten – ist auf der Suche nach dem richtigen, dem „perfekten “ und damit
auch zeitlosen Ausdruck des gebauten Raums. Wer ein solches Ziel anvisiert, lä„t
sich durch die Unbill einer langen Bauzeit nicht aus der Ruhe bringen. Noch
während der Bauphase kommentierte Ciriani den schleppenden Planungsproze„.
Dieser sei hilfreich gzwesen im Sinn einer Parfetionierung des Entwurfsidee: „Die
lange Entwicklungszeit trug dazu bei, die Schlüssigkeit der dreieckigen Grundri„“
figur zu überprüfen“ (AA Nr.282).
Das Museum in
Arles steht für eine Entwurfs auffassung, die den Begriff „Moderne“ ganz bewußt
nicht auf dieGegenwart bezieht. Denn die heute von außen an das Bauen
herangetratgenen Veränderungen – u.a. neue Technologien und neue Programme –
pressen der Architektur, so Ciriani, ständig neue Kompromisse in bezug auf die
Raumqualität ab. Abhilfe kann nur der
rückwärtsgewandte Blick auf das Verständnis von architektonischem Raum bieten,
das in der frühen Moderne entwickelt wurde und das die plastische Durchformung
des Baukörpers in den Vordergrund stellte. Dieser Anspruch an eint stilistisches
Ideal führt allerdings beim Entwerfen zu einer doppeldeutigen Haltung, wie am
Musum in Arles deutlich wird.
Einerseits
spielt der Architekt in diesem Bau mit außerordentlicher Raffinesse das Motiv
der „offenen Fassaden“ durch; er entwickelt einen mehrschichtigen, in die Tiefe
gehenden Raum, der den Besucher mit einem ganzen Bündel optischer Eindrücke ins
Innere einlädt: Statt einer Fassade gibt es eine blauglänzende Wandfläche, aus
der weiße Körper wie mit dem Meißel herausgearbeiten sind. Zusammen mit einer
langen Diagonalen und weiteren kubischen Elementen addieren sie sich zu einem
langen Wandgemälde, das an verschiedenen
Stellen begtangen und durchschritten werden kann. Die Eingänge in das große
Haus sind nicht bloß Ausschnitte in des Wand, sondern expressive Gesten aus
grazilen, sich über den Köpfen der Besucher kreuzenden Verlängerungen der
Gebäudekanten, unter denen man langsam ins Gebäude eintaucht. Im Inneren des
Museums entstand ein Raumgefüge, bei dem Stützen, Wände und Fenster scheinbar
losgelöst und frei von dem Dach mit seinen vielfältigen Offnungen und
Oberlichtern konzipiert wurden. Der Anspruch des Architekten ist unübersehbar:
das Kompositionsprinzip eines subtilen „Plan
Libre“ umzusetzen und den Besucher auf seiner Entdeckungsreise des Museums
durch eine Abfolge privilegierter Ausblicke auf die Architektur zu fesseln.
Im Gegensatz zu
dieser räumlichen Durchlässigkeit der Architecktur ist das Haus städtebaulich
ein Solitär, der zu seiner Umgebung keinen Kontakt aufnimmt. Des
städtebauliche Anachronismus der
Dreiecksform ist evident. Aus der Luft betrachtet wirkt das Museum wie ein zu groß geratenes, monumentales „Zeichendreieck“,
das die kleinteilige Stadtstruktur von Arles nicht integrieren wollte und
deshalb vor die Tore der Stadt bugsiert hat.
Doch eine solche
Kritik verkennt, daß es gerade die Verwendung der Dreiecksform war, die für den
Architekten die eigentliche Herausforderung bei seinem Entwurfskonzept
darstellte. Erst die Wahl der srpöden und entwurfstehnisch schwierigen
Dreiecksform gab den Anlaß, aus einer starren Geometrie die Vielfalt einse
architektonischen Kristalls zu entwickeln. Es ist diese Faszination für die
Arbeit mit räumlichen VOlumen, die auch die anderen in diesem Heft gezeigten
französischen Beispiele auszeichnet. Das Entwurfskonzept, dem sie anhängen, ist
introvertiert und heroisch. Es schwelgt in einer Raumauffassung, die von innen
nach außen entwickelt ist und dabei zwangsläufig mit der Realität der Außenwelt
kollidiert.
(Kaye Geipel)
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